Die Klägerin hatte von der Beklagten ein Springpferd erworben, um es im Turniersport einzusetzen – doch bald traten erste Lahmheiten auf, die sich immer mehr verstärkten. Ein Tierarzt stellte eine Erkrankung des linken vorderen Strahlbeins fest – das Pferd wurde für ,sportuntauglich' erklärt. Die Klägerin rügte den Mangel, doch eine gütliche Einigung kam nicht zustande – der Fall landete vor Gericht.
Mängelrüge
„Bei Geschäften zwischen Unternehmerinnen/Unternehmern muss die Käuferin/der Käufer die Ware nach Erhalt untersuchen und allfällige Mängel "binnen angemessener Frist" bei der Verkäuferin/beim Verkäufer rügen, andernfall gehen ihre/seine Ansprüche (z.B. auf Gewährleistung, auf Schadenersatz etc.) verloren.
Auch wenn sich ein Mangel erst später zeigt, muss er der Verkäuferin/dem Verkäufer "binnen angemessener Frist" angezeigt werden, ansonsten können die Ansprüche nicht mehr geltend gemacht werden."
(Internet: Letzte Aktualisierung: 27. April 2022; für den Inhalt verantwortlich: oesterreich.gv.at-Redaktion)
Die Mängelrüge ist ein Rechtszug, mit dem der Erwerber eines Pferdes oder einer Sache (Kutsche, Sattel usw.) bekannt gibt, dass in seinen Augen grundlegende oder zugesicherte Eigenschaften des Tieres oder der Sache nicht vorhanden sind. Kommt es in der Folge zu keiner Einigung oder Verbesserung, sondern zu einem Rechtstreit, wird meist ein Gutachter beigezogen und bestellt, der nach gerichtlichem Gutachtensauftrag zu untersuchen hat, ob übliche oder zugesicherte Eigenschaften tatsächlich nicht vorliegen bzw. Mängel vorhanden sind, die zum Zeitpunkt der Übergabe – wenn auch nur in ihrer „Wurzel“ – vorhanden waren.
Sachverhalt
Die Klägerin kaufte von der Beklagten die braune Stute „S.Y.“ um € 8500.00, mit der Absicht, das Pferd auf Springturnieren einzusetzen und sich damit auch in hohen Leistungsklassen zu bewegen.
Im März 200X traten dann erste Lahmheiten auf, die sich zunehmend verstärkten.
In der Folge wurde der Tierarzt Dr. M. K. beigezogen, der eine Erkrankung des linken vorderen Strahlbeines feststellte und das Pferd für „sportuntauglich“ erklärte.
Ein daraufhin bei Univ. Prof. Dr. Chr. S. (Veterinärmedizinische Universität Wien) in Auftrag gegebenes Privatgutachten brachte das Ergebnis, dass bei der verfahrensgegenständlichen Stute an der linken Vorderextremität ein zystoider Knochendefekt vorliegt, weswegen der sportliche Einsatz des Pferdes in keiner Leistungsklasse möglich wäre.
Die Klägerin rügte den Mangel bei der Beklagten, eine gütliche Einigung kam jedoch nicht zustande.
Gerichtlicher Gutachtensauftrag
– Ob der Mangel des Pferdes „S. Y.“ (Verletzung bzw. Krankheit des Tieres) zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses am 20.8.200X bereits vorgelegen hat;
– Auf das vorliegende Privatgutachten von Univ.Prof. Dr. Chr. S. möge eingegangen werden;
Benötigter Beeidungsumfang für die Gutachtenerstattung
11.01: Veterinärmedizin
05.35: Pferdesport im Allgemeinen
Befunde
./2 (Klage) Die klagende Partei erwarb bei der beklagten Partei am 20.8.200X ein braunes Sportpferd namens „S. Y.“, Lebensnummer DE …..zu einem Kaufpreis von € 8500.00. Dabei wurde ausdrücklich zugesagt, dass die Stute als Springpferd zum Einsatz bis zur Schwierigkeitsklasse S geeignet ist.
Schon kurze Zeit später stellte sich heraus, dass das Pferd offenbar Probleme hatte, es lag meist in der Box und schwitzte.
Im März 200X zeigte sich, dass das Pferd für den geplanten Einsatz völlig ungeeignet ist. Bei den ersten Testsprüngen, welche ohne Reiter durchgeführt wurden, trat schon eine leichte Lahmheit auf.
Anfang April wurde das Pferd erstmals unter einem Reiter getestet und zeigte sich schon bei den ersten Sprüngen, dass das Pferd an einer weitreichenden Lahmheit litt.
Der beigezogene Tierarzt stellte fest, dass das Pferd im Strahlbein vorne links eine Zyste hat und für einen Einsatz im Springsport völlig ungeeignet ist.
Die klagende Partei gab daraufhin bei Univ. Prof. Dr. Chr. S. ein Privat-Gutachten in Auftrag. Dieser stellte fest, dass das Pferd an einem zystoiden Knochendefekt an der linken Vorderextremität leidet und daher ein Einsatz des Pferdes im Sport – auf welcher Ebene auch immer – nicht möglich ist.
./19: (Klageerwiderung) Eine ausdrückliche Zusage der beklagten Partei, dass die Stute als Springpferd zum Einsatz bis zur Schwierigkeitsklasse S geeignet sei, wurde entgegen der Klagedarstellung nicht abgegeben.
……………
Das klagegegenständliche Pferd wurde in ordnungsgemäßem Zustand übergeben, Mängel waren nicht feststellbar, weshalb auch die klagende Partei auf eine Ankaufsuntersuchung verzichtete.
………….
Die Klägerin war mit dem Pferd und dessen Entwicklung sehr zufrieden:
„Mit „S. Y.“ habe ich auch schon super Fortschritte gemacht, sie ist mittlerweile auch schon parcoursfertig und beim Freispringen zeigt sie super Vermögen. Ich hab´ Dir ein paar Bilder mitgeschickt.“ (Mail vom 8.4. 200X).
./21: Auf Grund dieser Video-Aufnahmen vom 8.4.20XX steht fest, dass zu diesem Zeitpunkt keine wie immer gearteten Mängel vorgelegen und diese allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt aufgetreten sind.
Befund Dr. M.K. vom 25. Mai 200X Hannoveranerstute „S. Y.“ geb.27.4. 2003, LN DE ….
15.4.200X: Lahmheit mittleren zweiten Grades vorne rechts auf der Geraden, wesentliche Verschlechterung am Zirkel, TPA 100% positiv, Umspringen der Lahmheit nach vorne links.
22.4.200X: Röntgen Oxspringaufnahmen Vorne Links: Klasse 4, Vorne Rechts: Klasse 2-4
Diagnose: Podotrochlose Syndrom (Zyste im Strahlbein vorne links)
Prognose: schlecht
Therapie: zur Schmerzlinderung wurde auf Wunsch der Besitzerin aus Tierschutzgründen sowohl i.a. als auch p.o. und i.v. antiphlogistisch therapiert.
(Gez. Dr. M.K.)
Privatgutachten Univ. Prof. Dr. Chr. S. (Vorstand des Dept. IV Orthopädie bei Huf- und Klauentieren der Veterinärmedizinischen Universität Wien) vom 1.7.200X
Die Untersuchung zur Begutachtung erfolgte am 25.5.200X und nahm etwa 3 Stunden in Anspruch.
Als Vorbericht wird festgehalten, dass das Pferd etwa 8 Monate vor der Untersuchung angekauft worden ist und schon nach relativ kurzer Zeit trotz des schonenden Antrainierens lahm ging.
[….]
Im Privatgutachten wird auf die Röntgenbilder Dris. M. K. eingegangen, dabei festgehalten, dass die Hufeisen – entgegen der lege artis – Vorgangsweise – nicht abgenommen worden sind und dass speziell bei der, mit Nr.1 bezeichneten Aufnahme eine „zentrale, etwa 2 x 2,5 cm messende hütchenförmige Aufhellung, unscharf abgegrenzt, am Strahlbein der linken Vorderextremität“ zu beobachten sei.
Bei der Aufnahme mit der Nr.2 wird festgehalten, dass die Aufnahme schlecht auszuwerten ist, jedoch irreguläre Gefäßkanäle zu sehen seien.
Die Aufnahmen 3 und 4 weisen nach Ansicht des Privatgutachters keine Besonderheiten auf.
[…..]
Bei der Untersuchung am 25.5.200X nahm das Pferd im Stand der Ruhe vorne links eine Entlastungshaltung ein. Das linke Vorderbein wurde nach vorne gestellt.
Beim Vorführen auf hartem Boden zeigte das Tier eine Stützbeinlahmheit 2.Grades vorne rechts. Fallweise wechselte die Lahmheit auf die linke Vorderextremität, fallweise verstärkte sie sich auf der rechten.
Die Beugeproben der Zehengelenke verliefen beiderseits positiv, ebenso die Keilproben.
Die Strahlperkussion zeigte geringgradigen Schmerz.
Die Untersuchung durch gezielte Anästhesie der Nn.digit.palm. kann die Lahmheit eindrucksvoll auf die linke Vorderextremität eingrenzen.
[…..]
[…..]
In seinem Privat-Gutachten hält Univ. Prof. Dr. St. fest, dass die Lahmheit anlässlich seiner Untersuchung schmerzbedingt war. Zusammenfassend hält er fest, dass eine Hufrollenkrankheit im Sinne eines Podotrochlose-Syndroms vorliegt.
[…..]
Der Privatgutachter erläutert die anatomischen Verhältnisse der Zehe eines Pferdes sowie die pathologischen Veränderungen im Rahmen eines Podotrochlose Syndroms und betont, dass bei der verfahrensgegenständlichen Stute sowohl an der linken (Abbau der subchondralen Knochenschicht) wie auch an der rechten (kolbig erweiterte Canales sesamoidales) Vorderextremität einschlägige Befunde nachgewiesen werden konnten.
[……]
Der Privatgutachter führt in seiner Expertise in die Natur einer Hofrollenerkrankung ein und hält fest, dass es sich hierbei um keine Infektion handelt, sondern vielmehr um eine degenerative Erkrankung.
Ursächlich werden individuelle Überbelastung und genetische Disposition angeführt.
[…..]
Zur Frage der Rückdatierbarkeit bezieht sich der Privatgutachter lediglich auf die Knochenzyste an der linken Vorderextremität und geht – nach seinem persönlichen Ermessen – von einem Vorliegen des pathologischen Befundes schon im August des Vorjahres aus.
Er weist darauf hin, dass keine Reihenuntersuchungen (klinisch, röntgenologisch) des Pferdes dokumentiert sind.
Befundaufnahme Dr. K.:
Detailaufnahmen der linken und rechten Hufsohle sowie Aufnahmen mit der Wärmebildkamera beider Vorderextremitäten von vorne sowie der linken und rechten Zehe von hinten.
An diesen Befunden sind keine Abweichungen von der Norm erkennbar.
Ergänzende, informative Befragung der Klägerin:
– Der SV nimmt Bezug auf die Klage, wonach das Pferd (zit.:) „…schon kurze Zeit später offenbar Probleme hatte, in der Box lag und schwitzte“.
Dazu führt die Klägerin aus, dass nach dem Verbringen des Pferdes aus dem Orte S. in die Nähe von N., seinem jetzigen Standort, das Pferd offenbar an klimatischen Anpassungsproblemen litt, die sich in Kreislaufdepressionen äußerten. Diese können noch dadurch verstärkt worden sein, dass es einerseits sehr heiß war und andererseits die Stute – da noch nicht in die neue Herde integriert – relativ wenig Bewegungsmöglichkeit hatte.
Die Klägerin war seitens des Stallpersonals über 3 oder 4 solche Vorkommnisse unterrichtet worden, bis zum Eintreffen der Klägerin und durch einstweilige Bewegung hatte sich aber der Zustand des Pferdes jeweils wieder normalisiert.
Zu tierärztlichen Interventionen in diesem Zusammenhang ist es nicht gekommen.
– Ein Zusammenhang mit dem nunmehrigen Prozessthema scheint hier nach Meinung der Klägerin nicht vorzuliegen. Die Episoden seien nur der Ordnung halber erwähnt worden.
– Nach dem Ankauf im August 200X sei das Pferd ganz behutsam bewegt worden, es wurden kleine Hindernisse aufgebaut, über die die Stute im Freispringen und auch an der Hand gearbeitet wurde. Als dann im Spätherbst 200X mit der Arbeit unter dem Sattel begonnen wurde, zeigte sich, dass das Pferd jeweils nach der Arbeit mit deutlicher Entlastungshaltung der Vorderbeine in der Box stand.
– Deutliche Lahmheiten traten dann ab nächstem Frühjahr auf.
– Beim Kauf war das Pferd an den Vorderhufen beschlagen gewesen. Diese Hufeisen wurden zur Untersuchung durch Univ. Prof. Dr. S. abgenommen.
– Unter „parcoursfertig“ (Mail vom 8.4.200X) verstand die Klägerin, dass das Pferd schon eine Reihe von kleinen Hindernissen absolvieren konnte. Die als Beilage zu dieser Nachricht übermittelten Bilder, die das Pferd beim Sprung über einen Oxer zeigen, wurden bei einer nur einmaligen Überprüfung des Springvermögens des Pferdes aufgenommen. Eine Wiederholung einer derartigen „Freispringaktion“ hat es nicht mehr gegeben.
– Im Anschluss an die, in diesen Fotos festgehaltenen Sprünge war das Pferd nicht lahm.
– Zur Zeit wird das Pferd nicht gearbeitet, sondern hat täglichen Koppelgang.
Untersuchung des Pferdes durch Dr. K.
Die Nämlichkeit des Pferdes mit dem prozessbehafteten wird mittels Equidenpass überprüft und zweifelsfrei festgestellt. Die Stute weist einen mittelguten Ernährungszustand auf, war während der Untersuchung ruhig und kooperativ.
Der orthopädische Untersuchungsgang wird durchgeführt, im Folgenden festgehalten werden nur Abweichungen von der Norm:
– Beim Vorführen im Schritt auf gerade Linie auf mäßig hartem Boden fußt das Pferd vorne beiderseits kurz und vorsichtig; im Trabe ist eine gemischte Lahmheit zweiten Grades vorne zu verzeichnen, mit deutlich stärkerer Schmerzbehaftung der linken Vorderextremität.
– Deutlicher Palpationsschmerz mit der Hufuntersuchungszange an der linken Vorderextremität im Bereich des Strahls.
Eigene Erhebungen durch Dr. K.
Ergebnislisten des Bundesfachverbandes für Reiten und Fahren
Im Hinblick auf eine, auf Grund des Alters bereits mögliche Verwendung des Pferdes im Turniersport, wurde eine Anfrage per Mail beim BFV für Reiten und Fahren in Österreich gestellt.
Auskunft: Das verfahrensgegenständliche Pferd ist unter seinem Namen und seiner Besitzerin nicht als Turnierpferd eingetragen.
Anfrage beim Verband hannoverscher Warmblutzüchter e.V.
From: Dr. Reinhard Kaun
To: hannoveraner@hannoveraner.com
Guten Tag,
ich stelle mich als bestellter Gerichtsgutachter des BG N. in der Rechtssache 2 C 1657/XX vor.
Es geht in diesem Rechtsstreit um eine Erkrankung der Hufrolle bei dem Pferde
"S. Y." LN DE 431 ……, braune Stute
Gemäß dem von Ihrem Verband im Niedersächsischen Landgestüt Celle am 16.3.200x ausgestellten Pferdepass wurde das Pferd am 27.4.200x beim Züchter xxxxxxxxxxxxx geboren und am 18.6.200X mit Zuchtbrand und Nummernbrand "19" versehen.
Da eine eventuelle "genetische Disposition" der Hufrollenkrankheit nicht auszuschließen ist, ergeht die Anfrage, ob im Pedigree dieser Stute einschlägige Vorkommnisse bekannt sind.
Für rasche Bearbeitung danke ich im Voraus!
Mit höflichen Grüßen
Dr.Kaun
Nach mehreren Urgenzen kam folgende Antwort:
From: "Ulrich Hahne"
To: "Dr. Kaun"
Sent: Wednesday, July 28, xxxx 9:17 AM
Subject: Antw: Fw: Dringende Anfrage
Sehr geehrter Dr. Kaun,
derartige Erkenntnisse liegen uns nicht vor.
Mit freundlichen Grüßen/Best regards
i.A. Uli Hahne pers. Fon: +49 4231 67313 ____________________________________________________
Forensische Überprüfung der Fotos der Beilage ./2:
Die Fotos der Beilage ./2 wurden, sofern sie die verfahrensgegenständliche Stute betreffen, einem persönlich bekannten Fachhändler für Fotografie (Sternberger, Gmunden) vorgelegt, mit der Bitte einer Interpretation der Nummern am unteren Bildrand.
Dieser Expertise gemäß wurde die Aufnahme (Oxer mit insgesamt 3 Stangen) am 24.Jänner 200X, 16:51:58 Uhr angefertigt.
Die Aufnahme über dem Oxer mit 4 Stangen erfolgte am 24.1.200X, 16:53:19 Uhr.
Überprüfung der Sprunghöhe auf den Aufnahmen Beilage./2:
Herkömmlich Hindernissteher weisen eine Höhe von 160 cm auf. Sie sind auf Kreuzen mit einer Schenkellänge von etwa 40 cm montiert.
Geht man diesen Maßen aus, war der Oxer (mit drei Stangen) beim ersten Sprung etwa 145 cm hoch und 80 cm tief, beim zweiten Sprung (Oxer mit vier Stangen) etwa 160 cm hoch und 80 cm tief.
Im ersten Fall überspringt das Pferd etwa 30 cm, im zweiten Fall etwa 20 cm.
Ein Oxer ist als Hoch-Weit-Sprung ausgelegt. Die tatsächliche Sprunghöhe ist also etwa bei 180 cm gelegen gewesen.
Sachverständige Fallanalyse
Zur Erkrankung der Stute am „Podotrochlose-Syndrom“
Univ. Prof. Dr. S. hat in seinem Privatgutachten gleichsam „ex cathedra“ zu dieser Erkrankung Stellung genommen, zumal er als Ordinarius für Orthopädie wohl dazu außerordentlich berufen ist.
Trotzdem soll hier noch ergänzend auf die möglichen Ursachen und auslösenden Faktoren eingegangen werden, weil diese – im Ausschlussverfahren herangezogen – auch der sehr schwierigen exakten Altersbestimmung des pathologischen Prozesses bei der hier verfahrensgegenständlichen Stute behilflich sein können.
Das Podotrochlose-Syndrom(„Hufrolle“) ist eine chronisch – degenerative Erkrankung, die über Monate und Jahre linear-progredient oder progredient mit Symptom – Remission verläuft. Als chronisch werden im Allgemeinen Prozesse angesprochen, die länger als vier Wochen andauern.
Obwohl Hufrollenerkrankungen bei allen Pferderassen und Typen vorkommen können, ist doch die Auftretenswahrscheinlichkeit beim Sportpferd im Warmbluttyp und hier wieder bei Springpferden deutlich erhöht.
Speziell das Springpferd belastet bei der Landung nach dem Sprung die Hufrollen enorm. Nun leuchtet ein, dass das Landegewicht bei einem schweren Pferd höher sein wird als bei einem leichten Typ. Auch das Gewicht des im Sattel sitzenden Reiters und sein Reit-Stil haben bedeutsamen Einfluss auf den Aufprall bei der Landung.
Weiters spielt die Zehenstellung eine große Rolle: kurze und steile Hufe rollen leichter ab als flache und lange Zehen. Damit ist auch eine direkte Verbindung zum Hufbeschlag gegeben, der – bei unkorrekter Durchführung – mit der Zeit, aber doch innerhalb eines Jahres, leichter aus einer guten Stellung eine schlechte formen kann, als dies umgekehrt der Fall ist.
Eine wesentliche Rolle spielt auch das Alter und der Gewebstyp eines Pferdes. In der allgemeinen hippologischen Lehre bezeichnet man ein Pferd als „erwachsen“, wenn der Zahnwechsel beendet ist; dies ist in der Regel mit 5 ½ bis 6 Jahren der Fall. Wird ein Pferd schon vor diesem Alter stark belastet, ist die Erkrankung der Hufrolle (fast) immer in greifbarer Nähe.
Das Durchschnittsalter der deutschen Sportpferde liegt bei 7 ½ Jahren, das biologische Alter eines Pferdes bei 30 Jahren.
Das Hufrollen-Syndrom bis zu einem gewissen Grad auch als Hinweis für frühzeitigen Verschleiß im Sport zu sehen.
Schlussendlich scheint auch die Zucht eine nicht zu unterschätzende Rolle zu spielen, was die Zuchtverbände zwar ungern zugeben, jedoch längst zum Erfahrungsschatz erfahrener und langgedienter Pferdetierärzte gehört.
Die Erkrankung kommt in manchen Hengst- und Stutenlinien signifikant häufiger vor als in anderen. Da bei aller Beachtung von zuchthygienischen Maßnahmen den Zuchtverbänden der gute Absatz an Jungpferden doch am meisten am Herzen liegt, werden „Modehengste“ trotz dieser Er- Kenntnis erst sehr spät aus der Zucht genommen.
In diesem Lichte ist auch die eher karge Antwort des Verbandes hannoverscher Warmblutzüchter e.V. zu verstehen, die im Grunde die Möglichkeit einer genetischen Veranlagung des verfahrensgegenständlichen Pferdes weder bejaht noch verneint.
Unklar ist in diesem Aspekt, ob die Krankheit selber (als Anlage) oder die Disposition (mit einer notwendigen auslösenden Ursache) genetisch weitergegeben wird.
Betrachtet man nun die verfahrensgegenständliche Stute im Lichte der obigen Ausführungen, so ist festzuhalten:
Die Stute war zum Zeitpunkt des Kaufes 5 Jahre und 4 Monate alt. Das Pferd steht im trockenen Blut-Typ, ist eher kurz und steil gefesselt und verfügt über eine korrekte Huf-Form. Die Hufqualität war zum Zeitpunkt der Befundaufnahme ausgezeichnet.
Das Pferd war im Turnierpferderegister des Bundesfachverbandes für Reiten und Fahren in Österreich zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetragen, weshalb eine intensive sportliche Nutzung vor dem Auftreten der Krankheit im April 200X mit gewisser Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist.
Es ist also eher unwahrscheinlich, dass die Klägerin die Stute im Zeitraum August 200X bis zum Auftreten erster Lahmheiten im nächsten März/April 200X „niedergeritten“ oder durch Arbeit überlastet hat.
Hier ist anzumerken, dass dies einen vergleichsweise unüblichen Verlauf darstellt; üblich ist vielmehr in „Sportkreisen“, dass Pferde am Ende des dritten Lebensjahres angeritten werden und bis zum Alter von 5 Jahren schon über eine veritable Turniererfahrung, aber nicht unbedingt auch eine solide Grundausbildung verfügen.
Da die Beklagte den Befundaufnahmetermin nicht besucht hatte, konnte sie vom SV nicht befragt werden, ob oder weshalb die Stute offensichtlich erst spät unter den Sattel gekommen ist.
Die Klägerin hatte am 8.4.200X per Mail mitgeteilt, dass die Stute nunmehr „parcoursfertig“ sei, worunter sie gemäß ihrer eigenen Mitteilung (bei der Befundaufnahme) verstanden hat, dass eine Reihe kleiner Hindernisse in Folge überwunden werden konnten. Wäre dieses „Können“ schon beim Kauf vorgelegen, wäre es wohl 8 Monate später nicht besonders erwähnenswert gewesen.
Zwischen dem Ankauf und dieser Mitteilung liegen – wie angeführt - 8 Monate, woraus zu schließen ist, dass mit der Gewöhnung an das Springen durch die Klägerin eher behutsam vorgegangen worden ist.
Gemäß der Mitteilung des Verbandes hannoverscher Warmblutzüchter e.V. vom 28.Juli 20XX liegt eine Erkenntnis über die genetische Verbindung zur Erkrankung im Pedigree der Stute nicht vor.
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass wesentliche auslösende Faktoren für das Auftreten eines Hufrollensyndroms im Eigentumszeitraum der Klägerin nicht nachvollzogen werden können.
Altersbestimmung der Erkrankung
Exakte Altersbestimmungen von pathologischen Prozessen sind – selbst bei Vorliegen von Autopsie- und histologischen Befunden – im Allgemeinen nur etwa drei Monate in die Vergangenheit möglich. Geht die Zeitspanne, über die „nachvollzogen“ werden soll, wesentlich darüber hinaus, können nur mehr Wahrscheinlichkeiten angegeben werden. So auch im vorliegenden Fall.
In der gutachterlichen und veterinärmedizinischen Praxis hatte sich – speziell im Pferdeland Deutschland – bis vor wenigen Jahren der sogenannte „Röntgenleitfaden“ als das „non plus ultra“ bei der Beurteilung von Pferden und Röntgen -Befunden herausgebildet.
In den letzten Jahren wurden aber immer mehr kritische Stimmen über dieses Hilfsmittel laut und bemerkenswerter Weise erwähnt der Ordinarius für Orthopädie der Vetmeduni Vienna, der Privatgutachter Univ. Prof. Dr. S., den Röntgenleitfaden nicht einmal.
Von den 4 möglichen Klassen fällt die verfahrensgegenständliche Stute in die höchste Stufe, nämlich Röntgenklasse IV, die folgendermaßen definiert wird:
„Röntgenologische Befunde, die erheblich von der Norm abweichen und bei welcher klinische Erscheinungen wahrscheinlich sind“.
Speziell die klinischen Erscheinungen in Form der Lahmheit haben – die Röntgenprognose überholend – spätestens im März oder April nach dem Ankaufjahr gegriffen.
Unter dem Aspekt, dass im Zeitraum vom Ankauf des Pferdes durch die Klägerin im August 200X bis zum Auftreten erster Symptome im folgenden März/April 200X aus fachlicher Sicht kein anderer auslösender Faktor als der behutsame Beginn einer Grundarbeit – also einer „normalen“ Verwendung als Reitpferd – erkennbar ist, geht der SV auf der Basis von 40 Jahren Tätigkeit als Pferdemediziner im Bereich Regeneration und Rehabilitation sowie der Berücksichtigung der gängigen Literatur (siehe Anhang) von einer hohen Wahrscheinlichkeit (80 %) aus, dass das Podotrochlose-Syndrom bei der streitbehafteten Stute entweder als Anlage (in der Wurzel) oder als gesundheitsmindernder prädisponierender Faktor bereits zum Zeitpunkt der Übergabe vorgelegen hat.
Untermauert wird diese Einschätzung durch den Röntgenbefund der Strahlbeine der Vorderextremitäten, wonach sich an der linken Seite ein zystoider Defekt ausgebildet hatte, der zu seiner Entstehung einen Zeitraum von mindestens drei bis vier Monaten, eher aber länger benötigt. Da sich die Knochenstruktur rund um die Zyste schon wieder beruhigt hatte (was nur zu einem geringen Teil dem Versuch einer schadensmindernden Therapie zugeschrieben werden kann) ist für diese „Beruhigung“ ebenfalls ein Zeitraum von drei bis vier Monaten zu veranschlagen.
Überlappend dazu haben sich die Vorgänge an der rechten Vorderextremität entwickelt, die als mögliche Auslöser ebenfalls die „normale“ Reitverwendung der mittlerweile im letzten April 200X sechsjährigen Stute gehabt haben.
In diesem Zusammenhang liegt auch die Vermutung nahe, dass das Pferd deshalb für übliche Verhältnisse „recht spät“ in Beritt und Ausbildung gekommen ist, weil man dem Pferd aus „irgendwelchen Gründen“ Zeit lassen wollte.
Gutachten:
Aus der zusammenfassenden Betrachtung der Faktoren, die zu einem Podotrochlose-Syndrom führen, kommt der SV zur Einschätzung, dass die Erkrankung als direkte Anlage oder als Disposition mit hoher, also etwa 80 % Wahrscheinlichkeit zum Zeitpunkt der Übergabe im August 200X vorgelegen hat. Eine andere Ursache (Verletzung) für die Lahmheiten ist nicht nachvollziehbar.
Das Privatgutachten von Univ. Prof. Dr. S. ist schlüssig, fundiert und nachvollziehbar. Auch der Privatgutachter kommt zum Schluss, dass die „Läsion an Strahlbein vorne links schon für den August 200X anzunehmen ist“.
Auf die Veränderungen im Strahlbein der rechten Vorderextremität geht der Privatgutachter in diesem Zusammenhang nicht ein, ebenso erwähnt er keine Röntgenklassen.
Soweit bekannt, hat das erkennende Gericht die Klage abgewiesen, weil der Nachweis, dass die Mängel bereits bei der Übergabe vorhanden waren, nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit nachvollziehbar war, zu späte Mängelrüge war das Hauptargument.
Die forensische Relevanz zum Thema
Vorsicht bei fragwürdigen und problematischen Zusicherungen beim Pferdekauf, wie:
• Brav, gesund und leicht zu reiten
• Problemlos im Umgang
• Anfängertauglich
• Kindertauglich
• Freizeit- und Ausreitpferd
• Ausgebildet / geritten bis Klasse XX
• Geeignet als Dressur-/Springpferd bis Klasse X
• Eingespannt
§ 922 ABGB : Gewährleistung: Haftung für
– bedungene oder gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaften
– Verwendung der Natur des Geschäftes gemäß
– Verwendung der Verabredung gemäß
Forensische Relevanz
– Kauf eines ungeeigneten Pferdes: Typ, Alter, Ausbildung, Temperament
– Ungeeigneter Käufer: Keine Pferdeerfahrung, keine Ausbildung
– Ungeeignetes Umfeld: defizitäre Haltungsbedingungen, fragwürdige „Berater“, „Mit-Schneider“.
– Kauf von Internetplattformen: Fehlen eines seriösen Informationsniveaus
– Kauf ohne Beratung: je geringer die Eigenerfahrung, umso wichtiger sind seriöser Berater
– Kauf ohne Kaufuntersuchung: Risikoerhöhung auch bei billigen Pferden
– Viele Vorbesitzer: Pferde mit „Geschichte“ bedürfen großer Erfahrung und soliden Könnens beim Käufer
§ 923 ABGB : Gewährleistung: Haftung
– Zusicherung nicht vorhandener Eigenschaften
– Stillschweigend vereinbarte Eigenschaften
– Ungewöhnliche Mängel oder Lasten
– Fälschliche Zusicherung gewisser Gebrauchseignung
– Frei von gewöhnlichen Mängeln oder Lasten
Forensische Relevanz
– Der Inhalt eines Kaufvertrages kann nicht detailliert genug sein.
– Jede Zusicherung einer Eigenschaft muss festgehalten werden.
– Relevante Exterieur-Mängel (Hufe, Stellungsfehler, Narben) sollen fotografisch dokumentiert sein.
– Verhaltensauffälligkeiten (Sattelzwang, Kopfscheue usw.) müssen per Video festgehalten werden.
§ 924 ABGB : Gewährleistung: Vermutung der Mangelhaftigkeit
– Gewähr für Mängel, die bei der Übergabe vorhanden sind
– Vereinbarkeit mit Art der Sache oder des Mangels muss gegeben sein
– Vermutung bis zum Beweis des Gegenteils, wenn der Mangel innerhalb von 6 Monaten hervorkommt
– Die Vermutung tritt nicht ein, wenn sie mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar ist.
Forensische Relevanz
– Kommt ein Mangel in gesundheitlicher Hinsicht oder im Hinblick auf zugesicherte Eigenschaften innerhalb von sechs Monaten nach Übergabe hervor, muss der Verkäufer die Mängelrüge entkräften.
– Nach dem Ablauf von 6 Monaten tritt eine Beweislastumkehr ein und der Käufer muss den Mangel beweisen.
– Bedeutsam ist, ob der Mangel bei der Übergabe bereits „in seiner Wurzel/Anlage“ vorhanden war.
– Es liegt in der Verantwortung des Käufers eines Pferdes, dass dieses auch nach korrekten Kriterien der Reitlehren „nachgeritten“ wird.
– Das „Verreiten“ eines Pferdes (beim Käufer) aus Unvermögen oder mit tierquälerischen Interventionen ist geeignet, einem Pferd einen nicht wieder gut zumachenden Schaden zuzufügen.
(Der wissenschaftlich-veterinärmedizinische Stand dieses Gutachtens entspricht dem Jahre 2009.)
Erstellt 27.09.2022
ZUM AUTOR: Dr. Reinhard Kaun ist Tierarzt seit 1969 und ständig beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, der im Laufe seiner 33-jährigen Tätigkeit als Gerichtsgutachter mehr als tausend Gutachten erstattet hat. Neben vielen Qualifikationen im Pferdesport (z.B. FEI-Tierarzt, Turnier- und Materialrichter, FEI-Steward, Dopingbeauftragter) war er als Fachtierarzt für Pferdeheilkunde und Fachtierarzt für Physikalische Therapie und Rehabilitationsmedizin tätig. Die „Fälle des Dr. K." haben sich tatsächlich zugetragen, wurden aber jeweils in Text und Bildern verfremdet und anonymisiert, womit geltendem Medienrecht und Datenschutz vollinhaltlich genügt wird. Die Fälle wurden vom Autor um das „Fall-spezifische“ bereinigt und werden somit nun als neutraler Lehrstoff von allgemeiner hippologischer Gültigkeit für interessierte Verkehrskreise zur Weiterbildung dargestellt.